Kursinfo
Shinran
7 Meister
Mahâyâna |
Vor 2500 Jahren verkündete der Buddha im Norden
Indiens seine Botschaft der Überwindung des Leidens
durch ein Besiegen von Gier, Hass und Verblendung. Er
lehrte, wie jeder durch die Erfahrung der unmittelbaren
Zusammengehörigkeit allen Daseins über den
Egoismus hinauswachsen und zu einer liebenden Haltung
finden kann, in der ein unerschütterliches Glück
erfahren wird.
Die Erkenntnis der Verwobenheit allen Seins hatte für
den Buddha auch im täglichen Leben Konsequenzen.
So ließ er seine mit ihm ziehenden Jünger
eine Gemeinschaft bilden, in der die starre Kastenordnung
der indischen Gesellschaft aufgehoben war und Gleichheit
herrschte. Diese Schüler des Buddha waren als Besitz-
und heimatlose Wanderer in ständigem Kontakt mit
allen Kreisen der Bevölkerung, der sie als Berater
in Fragen der Lebensgestaltung und der Meditation dienten.
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Shinran |
Sie bildeten damit den Kern einer umfassenderen Bruderschaft
der Menschen. Aus dieser Gemeinschaft nicht an die Bürde von
Eigentum, Macht und egoistischen Bindungen geketteter
Wahrheitssucher und Lehrer entwickelte sich im Laufe
weniger Generationen eine mächtige Organisation,
die oft nur noch wenig Ähnlichkeit mit den Anfängen
aufwies.
Durch die Förderung reicher Anhänger
aus Adel und Wirtschaft entstanden große und reiche
Zentren, in die sich die Nachfolger der Schüler
des Buddha zurückzogen. Aus der einstigen Gemeinschaft
heimatloser Wanderer, die Leid und Elend aller Menschen
teilte, war die Verwalterin geistiger und materieller
Schätze geworden. Der lebendige Kontakt zur Bevölkerung
war dahin.
Sollten nach dem Auftrag des Buddha alle Menschen seine
Lehren empfangen, wurde die breite Bevölkerung
jetzt lediglich als Gabenspenderin der großen
Zentren betrachtet. Dem so entstandenen buddhistischen
Klosterwesen und Mönchtum verdanken wir großartige
kulturelle und religiöse Leistungen. Es hat bedeutende
Gelehrte und Heilige hervorgebracht und die Lehre des
Buddha durch Jahrhunderte bewahrt und weiterentwickelt.
Und dennoch bestand ein grundsätzlicher Widerspruch
zu diesen Lehren darin, dass ihre Träger sie nicht
mehr mit allen Menschen teilen wollten, weil sie vielfach
zu mächtigen Feudalherren geworden waren. Aus einer
Gruppe solcher, die keine Kasten kannte, war selbst
eine abgekapselte Oberschicht geworden.
In dieser auf der Institution von Kloster und Mönchtum
beruhenden Gestalt hat sich der Buddhismus aus Indien
über weite Teile Asiens verbreitet und viele Länder
entscheidend geprägt. Auch in Japan war er in dieser
Form bereits fest verankert, als im Jahre 1173 Shinran
Shônin geboren wurde.
Shinran, der Sohn einer Adelsfamilie, kam nach dem frühen
Tod seiner Eltern mit neun Jahren in ein buddhistisches
Kloster auf dem Berg Hiei bei Kyôto. Es war dies
eines der bedeutendsten religiösen Zentren Japans.
Obwohl dort in jenen Tagen viele ernsthaft strebende
buddhistische Mönche lebten, die sich intensiv
dem Studium der Philosophie und der Meditation widmeten,
gab es doch auch andere, für die der Buddhismus
zur Nebensache geworden war. Vielen Mönchen ging
es mehr um Einfluss und Karriere als um geistige Werte.
Die Klöster nahmen regen Anteil an den Machtkämpfen
des Adels, und der Klerus vom Berg Hiei besaß
sogar ein eigenes Heer. Shinran interessierte sich nicht
für Ruhm und Karriere. Intensiv rang er um das
vom Buddha gelehrte Erwachen. Doch nach zwanzig Jahren
hatte er das Gefühl, ein Versager zu sein. Askese
und Meditation hinter den Klostermauern schienen ihn
seinem Ziel nicht näher gebracht zu haben. Er empfand
sich weitab von jeder Vollkommenheit, sehnte sich nach
echter Gemeinschaft mit anderen Menschen: War er unfähig
für den Pfad des Buddha? Hatte er sich von seinen
Leidenschaften überwältigen lassen?
In seiner Verzweiflung zog er sich in einen Tempel zurück,
wo er hundert Tage in Klausur blieb. Dabei soll ihm
in einer Vision Avalokiteshvara erschienen sein, der
Bodhisattva, der das Mitempfinden des Buddha verkörpert.
Der Bodhisattva brachte ihm die Erkenntnis, dass es
nicht der Abgeschiedenheit bedarf, um den buddhistischen
Weg zu gehen. Dies folgte aus seiner Botschaft, dass
sich gerade in dem Menschen, zu dem man sich hingezogen
fühlt, der Bodhisattva selbst verkörpert. |
Durch die Vision bestärkt, entschloss sich Shinran,
das Klosterleben endgültig aufzugeben, um unter
die Menschen zu gehen. Sein Weg führte direkt zu
einem bedeutenden buddhistischen Meister, dessen Ruf
zu ihm gedrungen war: Hônen Shônin (1133-1212).
Auch Hônen hatte längst die Klostermauern
hinter sich gelassen, um entgegen dem damaligen Brauch
allen Menschen die Lehren des Buddha nahe zu bringen.
Nach Hônens Überzeugung sollte der Buddhismus
nicht den Mönchen in wohlhabenden Klöstern
und dem reichen Adel vorbehalten bleiben. So unterwies
er ganz selbstverständlich auch Fischer und Bauern. Hônen war ein großer Gelehrter seiner Zeit.
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Hônen |
Fünfmal soll er während seiner Studien im
Kloster den gewaltigen buddhistischen Kanon vollständig
durchgearbeitet haben. Dennoch belehrte er die Menschen
auf eine einfache Weise. Der Buddha hatte für ein
Überwinden von Gier, Hass und Verblendung zahlreiche
Methoden dargelegt, die Ethik und Meditation umfassen.
Hônen, der alle diese Methoden kannte, wählte
aufgrund seiner spirituellen Erfahrung eine davon aus,
die er als geeignet für alle Menschen empfand.
Man nennt diese Übung im Sanskrit "Buddhânusmriti"
(japanisch: Nembutsu), was eine "Vergegenwärtigung
des Buddha" bedeutet. Hônen bezog sich dabei
auf die Meister Shandao (613-681) aus China und Genshin
(942 -1071) aus Japan. Beide hatten auf Grundlage wesentlicher
Reden des Buddha aufgezeigt, wie jeder strebende Mensch
durch das Vergegenwärtigen des höchsten Zieles
im eigenen Bewusstsein, nämlich der Buddhaschaft
selbst, diesem näher kommt. In der Praxis vollzieht
sich dieses Treten in die Gegenwart des Buddha zum Beispiel
durch ein Visualisieren seiner Gestalt und das hörbare
oder unhörbare Wiederholen seines Namens. Doch
wird unter "Buddha" hier mehr verstanden als
die Gestalt des Gautama Siddhârtha, der vor 2500
Jahren auf der Erde lebte. Der Buddha wird in dieser
Praxis auf Japanisch als "Amida" angesprochen;
ursprünglich ein Sanskritwort (amita), das "unendlich"
bedeutet, denn Buddhaschaft ist ein Überschreiten
aller Begrenzungen. Im höchsten Sinne bezeichnet
man den Buddha daher als "Amitâbha"
oder "Amitâyus". Amitâbha heißt
"unendliches Licht" und ist Symbol für
die räumliche Unbegrenztheit des Bewusstseins eines
Buddha, das alles umfasst, gerade so, wie auch das Licht
sich nach überall ausbreitet. Amitâyus bedeutet
"unendliches Leben" und symbolisiert die zeitliche
Grenzenlosigkeit der Buddhaschaft, die Todlosigkeit. |
Begeistert hörte Shinran bei seinem Meister Hônen
die Belehrungen über den unbegrenzten Buddha, dessen
Wirklichkeit er im Aussprechen seines Namens "Namu
Amida Butsu" erleben durfte. Er erfuhr, wie er
auch als Mensch mit Beschränkungen und Fehlern
würdig für die Buddhaschaft und ein Hinauswachsen
über den Egoismus war.
Hônen lehrte keine komplizierten Übungen.
Die Vorbereitung für eine Begegnung mit der Buddhaschaft
war einfach und schwer zugleich: Die Annahme seiner
selbst mit allen Schwächen und Fehlern. Der Schüler
durfte sich nichts vormachen, was seine Verwirklichung,
Begabung oder Berufung anging. Er hatte sich schonungslos
als derjenige zu erfahren, der er war. Es setzte dies
keine große Gelehrsamkeit voraus, jedoch die Bereitschaft
zu größter Selbstehrlichkeit.
Das Wachsen der Anhängerschaft Hônens erzürnte
die Hierarchen der mächtigen Klöster. |
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Amitâbha |
Sie
denunzierten Hônen am Kaiserhof und erreichten,
dass er und seine Hauptschüler, unter ihnen auch
Shinran, im Jahre 1207 getrennt in entlegene Provinzen
Japans verbannt wurden, wo sie für ihr Überleben
hart arbeiten mussten. Shinran sollte seinen Meister
nie wieder sehen. Als die Verbannung 1211 aufgehoben wurde, hatte sich
das Leben Shinrans grundlegend geändert. Aus dem
einstigen Mönch war ein Familienvater geworden,
der Verantwortung für Frau und Kinder zu tragen
hatte.
Sein Alltag unterschied sich alleine dadurch
vollkommen von dem der anderen buddhistischen Gelehrten,
die in den Klöstern wohnten. Was jene als niedere
weltliche Pflichten verachteten, war für Shinran
jedoch gerade das Feld der Bewährung seiner religiösen
Erfahrung. Der indische buddhistische Patriarch Nâgârjuna
hatte gelehrt, das Samsâra, die Wandelwelt, und
Nirvâna, der erlöste Zustand, für den
erwachten Menschen identisch sind. Shinran ließ
diese Einsicht zu gelebter Konsequenz werden, indem
er keine Unterscheidung zwischen Heiligem und Profanem
vornahm. Auch nach Aufhebung der Verbannung blieb er
freiwillig für einige Jahre in entlegenen, rauen
Gegenden, um das Los der dortigen Menschen zu teilen
und ihnen die Lehre des Buddha nahe zu bringen.
Begeistert hörte Shinran bei seinem Meister Hônen
die Belehrungen über den unbegrenzten Buddha, dessen
Wirklichkeit er im Aussprechen seines Namens "Namu
Amida Butsu" erleben durfte. Er erfuhr, wie er
auch als Mensch mit Beschränkungen und Fehlern
würdig für die Buddhaschaft und ein Hinauswachsen
über den Egoismus war.
Hônen lehrte keine komplizierten Übungen.
Die Vorbereitung für eine Begegnung mit der Buddhaschaft
war einfach und schwer zugleich: Die Annahme seiner
selbst mit allen Schwächen und Fehlern. Der Schüler
durfte sich nichts vormachen, was seine Verwirklichung,
Begabung oder Berufung anging. Er hatte sich schonungslos
als derjenige zu erfahren, der er war. Es setzte dies
keine große Gelehrsamkeit voraus, jedoch die Bereitschaft
zu größter Selbstehrlichkeit.
Das Wachsen der Anhängerschaft Hônens erzürnte
die Hierarchen der mächtigen Klöster. Sie
denunzierten Hônen am Kaiserhof und erreichten,
dass er und seine Hauptschüler, unter ihnen auch
Shinran, im Jahre 1207 getrennt in entlegene Provinzen
Japans verbannt wurden, wo sie für ihr Überleben
hart arbeiten mussten. Shinran sollte seinen Meister
nie wieder sehen.
Schließlich ließ er sich in seiner Heimatstadt
Kyôto nieder, um auch dort unermüdlich die
wesentlichen Botschaften des Buddha zu lehren und in
zahlreichen Schriften für die Menschen seiner Zeit
zu erläutern.
Von den vielen wesentlichen Beiträgen Shinrans
zum Buddhismus sollen hier einige als besonders bedeutend
hervorgehoben werden:
Mythologische Grundlage für die Darlegungen Shinrans
ist die Lehre von den "Reinen Ländern".
Die alten buddhistischen Texte sprechen davon, wie Buddhas
vor vielen Weltzeitaltern "Reine Länder"
gegründet haben. Diese werden als Stätten
möglicher Wiedergeburt bezeichnet, an denen das
Wesen unter Anleitung eines Buddha dem Nirvâna
entgegenreifen kann, wenn es sich auf der Erde vertrauensvoll
dem Buddha zuwandte. Als bedeutendstes "Reines
Land" gilt dabei jenes des grenzenlosen Buddha
Amida. Shinran gab diesen Lehren einen neuen Akzent.
Was zuvor meist eine Hoffnung für das Leben nach
dem Tode war, bedeutete ihm eine Möglichkeit, die
jeder Mensch bereits in diesem Dasein hat:
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"Namu Amida Butsu" |
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Wer sich selbst ehrlich betrachtet und sein schwaches
Wesen mit der Wirklichkeit des Buddha konfrontiert,
die untrennbar von unserer eigenen menschlichen Wirklichkeit
ist, wird bereits hier und jetzt ein Bewohner des Reinen
Landes. Er sieht die Welt und sich selbst auch mit den
Augen des Buddha. Das universelle Geflecht von Beziehungen
und Bedingungen, aus dem heraus sein Wesen entsteht,
ist ihm keine Ahnung mehr, sondern erfahrene Wahrheit.
Auch wenn ein solcher Mensch objektiv noch mit zahlreichen
Schwächen und Mängeln behaftet ist, vergleicht
ihn Shinran doch mit dem Bodhisattva Maitreya, dem größten
aller Bodhisattva. Die Buddhaschaft ist ihm sicher.
Besonderen Nachdruck legte Shinran auf die Lehre von
der "eigenen Kraft" (jiriki) und der "anderen
Kraft" (tariki). Er begegnete damit einer der Hauptgefahren
für die auf dem Wege des Buddha Strebenden: Der
buddhistische Pfad soll den Egoismus, der sich in Gier,
Hass und Verblendung zeigt, überwinden. Er soll
bewusst machen, wie das Wesen nicht für sich und
aus sich heraus besteht, sondern im Zusammenhange mit
allem Dasein.
Geht man nun den Pfad des Buddha in der
Absicht, sich aus "eigener Kraft" vom Egoismus
zu befreien, kann schon diese Anschauung in Verbindung
mit ethischer Disziplin und konsequenten Meditationsübungen
das Gegenteil des Erstrebten bewirken. Das Ego, das
überstiegen werden soll, wird in seiner Verblendung
noch bestärkt. Denn wo man, wie eine Grundlehre
des Buddha sagt, in einem großen Werdeprozess
bedingt entsteht, da gibt es letztlich keine "eigene
Kraft". Und so lehrte Shinran seine Schüler,
nicht in diese Falle zu treten, indem er sie alles Fortschreiten
auf dem Pfade als bewirkt durch die "andere Kraft"
des unendlichen Buddha Amida erfahren ließ. Diese
unerschöpfliche "andere Kraft" des Buddha
nimmt alle Wesen an, die ihr eigenes Streben in dieser
Weise Selbst-los betrachten. In diesem Sinne bemerkte
Shinran einst: "Selbst der Gute erlangt das Reine
Land, um wie viel leichter dann der Böse."
Hiermit sprach er sich nicht gegen gute Werke oder für
das Tun von Unheilsamem aus. Er legte jedoch offen,
wie gerade der, der seine eigenen Fehler und Bosheiten
selbstehrlich und klar erschaut, ganz nah an der Erkenntnis
des Wesentlichen steht, wenn er dies zum Anlass nimmt,
den Glauben an die Besonderheit seines Ego loszulassen.
Durch ihn kann dann der Buddha wirken, wodurch die Werke
des Menschen erst wahrhaft bedeutsam werden. Wer jedoch
von seiner eigenen Gutheit überzeugt ist, sich
in dem, was er vermeintlich kann, allzu sehr gefällt,
dreht sich leicht im Kreise. Er haftet an seinem Ego
und vollbringt mit harter Anstrengung, was jenem, der
den Buddha in sich erfährt, mit spontaner Mühelosigkeit
gelingt.
Shinran Shônin, dem Gelehrte wie einfache Menschen
folgten, legte mit seinem Wirken den Grundstein für
die bedeutendste Richtung des japanischen Buddhismus,
die "Wahre Schule vom Reinen Land" (Jôdo
Shinshû). Innerhalb des japanischen Buddhismus
bekennen sich heute die meisten Menschen zu diesem Weg.
So war es Shinrans Verdienst, die Lehren des Buddha
und der bedeutendsten Heiligen in seiner Nachfolge aus
der Exklusivität der Klöster zu tragen, um
sie allen Menschen zugänglich zu machen. Jene Bruderschaft,
die zur Zeit des Buddha nur von seinen besitz- und heimatlosen
Schülern abseits des Kastensystems verwirklicht
werden konnte, wurde durch Shinran zu einer Aufgabe
für alle Menschen, die sich als Schwestern und
Brüder in einem großen Werdeprozess und befreit
im Erfahren des allumfassenden Buddha Amida erleben
dürfen.
Als Shinran im Jahre 1263 im Sterben lag, soll er seine
Schüler angewiesen haben, den toten Körper
in einen Fluss zu werfen, damit er noch den Fischen
als Nahrung dienen könne. Symbolhaft kommt in dieser
Anweisung die tiefe Erfahrung der Einheit aller Lebewesen
zum Ausdruck, aus der heraus ein Mensch jeden Egoismus
aufzugeben vermag, um bis zuletzt das Wohl anderer im
Auge zu haben. (Volker Zotz: Der buddhistische Meister Shinran
Shônin - Zusammenfassung eines Vortrages,
gehalten 1987 in Wien; erschienen in der Zeitschrift Adyar 44.1989, Heft 1, S. 29-34.) |
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